Ein Hinweis für euch Leser*innen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die erste Version unseres pädagogischen Konzepts. Der Raschelbande e.V. wird es fortlaufend weiterentwickeln – nicht zuletzt, weil Themen wie Inklusion, Diversität und Nachhaltigkeit komplex sind und sich ihre Strukturen in einer sich ständig verändernden Welt stetig wandeln.
Wir wurden als Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe anerkannt. Die vorliegenden Konzepte des Raschelbande e.V., das pädagogische Konzept und das Schutzkonzept, bilden zusammen die institutionelle Konzeption des Raschelbande-Kindergartens und ergänzen sich gegenseitig. Das Schutzkonzept greift die pädagogischen Leitgedanken auf und ergänzt sie bezüglich Prävention und Intervention bei Kindeswohlgefährdung und (sexueller) Gewalt. Die Konzepte sind zusammenhängend zu lesen und nehmen Bezug aufeinander, was wir kenntlich machen.
Wir haben uns dafür entschieden, die Konzepte so zu verfassen, als gäbe es den Raschelbande-Kindergarten bereits (ab Punkt 3). Dafür gibt es drei Gründe: Erstens erlaubt das Präsens eine bessere Lesbarkeit. Zweitens kann der Text nach der Gründung des Kindergartens dann problemlos als Konzept, das v. a. von Eltern gelesen wird, weiterverwendet werden. Drittens ist es motivierend, etwas, was man sich wünscht, so darzustellen, als wäre es schon real.
1. Wer sind wir?
Wir, der gemeinnützige Raschelbande e. V., sind eine Gruppe von Eltern, die im Oktober 2020 mit der Initiative gestartet sind, einen Wald- und Naturkindergarten zu gründen.
Die Mitglieder des Raschelbande e. V. (als Träger des geplanten Kindergartens) sind vor allem Eltern, die ihre Kinder im Raschelbande-Kindergarten betreuen lassen möchten und die motiviert sind, mit ihrem Engagement zum Entstehen des Kindergartens im Sinne des vorliegenden Konzepts beizutragen. Es soll ein Ort werden, an dem sich Kinder frei entfalten können. Ein Ort, an dem Kinder einfach Kinder sein können, im Grünen und abseits von der Hektik und dem Lärm der Großstadt.
In unserem pädagogischen Konzept steht insbesondere das Freispiel im Wald im Mittelpunkt. Starten wollen wir mit einer Gruppe von maximal 20 Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahren. Das pädagogisch qualifizierte Fachpersonal wird aus zwei ausgebildeten Fachkräften und einer Ergänzungskraft bestehen. Mindestens eine der Fachkräfte wird spezifisch im Bereich Natur- und Waldpädagogik ausgebildet sein. Als inklusionspädagogische Einrichtung passen wir die Gruppengröße und die Personalbemessung entsprechend der rechtlichen Vorgaben an die jeweilige Belegungsstruktur an. Der Kindergarten wird wochentags von 8:00 bis 15:00 Uhr geöffnet sein, also 35 Stunden pro Woche.
2. Wie sieht unsere Raschelbande-Umgebung aus?
Der Standort des Kindergartens befindet sich im südlichen äußeren Grüngürtel von Köln, auf dem Parkplatz an der Ecke Militärring / Gleueler Straße, angrenzend an ein Waldstück. Dort steht den Kindern und Erzieher*innen ein ausgebauter, wärmeisolierter, mit Fenstern versehener Bauwagen von gut 20 Quadratmetern zur Verfügung.
Der Bauwagen ist nach den Bedürfnissen der Raschelbande ausgebaut (Tische, Bänke und Stühle für die 18–20 Kinder und 3 Erzieher*innen, Materialschränke, Waschraum mit Komposttoilette und Wickelmöglichkeit etc.). Ergänzend zu verschiedenen Spielstationen im umliegenden Wald dient der Bauwagen als Stützpunkt, Rückzugs- und Unterschlupfmöglichkeit, z. B. bei extremen Witterungsverhältnissen.
In Sichtweite zum Bauwagen gibt es im Wald einen Bereich, die sogenannte ‚Wurzelrutsche‘, an dem gemeinsame Rituale wie die morgendliche Begrüßung und Aktionen von den Kindern und Erzieher*innen stattfinden. Dazu zählen auch gemeinsame Mahlzeiten und kreative Aktivitäten. (Für die Einnahme von Mahlzeiten ist der Bauwagen nur bei extremen Witterungsverhältnissen vorgesehen.)
In ausgewählten Waldabschnitten gibt es einige ‚Spielorte‘ der Raschelbande-Kinder. Diese wurden in Absprache mit dem Forst- / Grünflächenamt ausgewählt. Es handelt sich um unterschiedliche Orte mit jeweils eigenen Charakteristiken, die spezifische Spielmöglichkeiten initiiert/fördert: Beispielsweise laden die Orte dazu ein, Tiere zu beobachten, auf Bäume zu klettern, zu träumen oder Fantasien zu entwickeln. Die Spielstationen werden regelmäßig besucht, sodass sie für die Kinder zu vertrauten Spielorten werden, ebenso wie die Wege dorthin. Die Erzieher*innen pflegen die Orte und die Wege, um Gefahren durch absturzgefährdete Äste, morsches Holz, Glasscherben etc. abzuwenden (vgl. Schutzkonzept Punkt 3.1).
Zu den Spielstationen im Wald nehmen wir einen Bollerwagen mit. Darin befindet sich die tägliche Grundausstattung (z. B. Erste-Hilfe-Kasten, Wechselkleidung, Seife, Wassersack, Regenplane, Seile, Werkzeug, Bücher, Malmaterial, die Rucksäcke der Kinder). Außerdem haben die Erzieher*innen immer das „Kindergarten-Handy” dabei, um für die Eltern erreichbar zu sein und in Notsituationen schnell handeln zu können (vgl. Schutzkonzept Punkt 6.4). Nachts ist der Bollerwagen unter dem Bauwagen abgeschlossen verstaut.
3. Welche Leitgedanken bestimmen unsere Pädagogik?
3.1 Unser Bildungsverständnis
Kinder verfügen schon als Neugeborene über Grundfähigkeiten (z. B. soziale und motorische Kompetenzen), um Denk- und Sprachprozesse zu entwickeln. Von Geburt an gestalten sie ihre individuelle Entwicklung / Bildung aktiv mit, angetrieben durch das Bedürfnis nach eigenem Ausdruck, (miteinander) Handeln und Verstehen. Sie erforschen ihre Umgebung, machen Erfahrungen mit allen Sinnen, weil sie die Welt (be-)greifen, verstehen und an ihr partizipieren möchten. Durch das eigenaktive Lernen erleben Kinder Selbstwirksamkeit. Selbst etwas zu entdecken, selbstständig Hürden zu überwinden usw., erfüllt sie mit Stolz und fördert die Entwicklung ihres Selbstbewusstseins. Dabei steht stets die Freude am Entdecken und Lernen im Mittelpunkt. Besonders in den ersten sieben Jahren bildet sich durch das Lernen mit allen Sinnen, durch Emotionen und Erfahrungen die Basis für jedes weitere Lernen. Selbstverständlich ist die Art und Weise, wie sich ein Kind die Welt „zu eigen macht”, individuell und verläuft unterschiedlich schnell.
Vor dem Hintergrund dieses Bildes vom kompetenten Kind verstehen wir Bildung nicht als Wissensvermittlung von „außen nach innen”, sondern als Wissenskonstruktion „von innen nach außen”. Unseren Bildungsauftrag sehen wir darin, die Kinder im eigenaktiven Prozess des Entdeckens, Verstehens und Handelns zu begleiten und zu fördern. Uns ist wichtig, dass die Kinder selbst (implizit) entscheiden können, wann und was sie Neues erlernen wollen. D. h. Themen, Fragen und Entdeckungen, mit denen sich die Kinder von sich aus beschäftigen, bzw. Hürden, auf die sie stoßen (z. B. motorischer, sprachlicher, kognitiver Art), werden in der Situation des pädagogischen Alltags aufgegriffen, besprochen, neu geschaffen und begleiten den Alltag nicht zuletzt, weil Kinder insbesondere durch Wiederholungen lernen.
3.2 Pädagogische Grundhaltung: Dialog, Partizipation und Mitbestimmung
Grundsätzlich ist unser Verständnis von der Entwicklung des Kindes ganzheitlich. Es setzt bei den Fähigkeiten der Kinder an und nicht bei ihren Einschränkungen. Stets ist es unser Ziel, die Selbstständigkeit und das Selbstvertrauen der Kinder in ihrem individuellen Tempo zu fördern. Deshalb streben wir danach, auch Kinder mit (drohender) Behinderung entsprechend ihres erhöhten Förderbedarfs in unserer Einrichtung zu betreuen (vgl. Punkt 6.1).
Kinder sind von Geburt an Personen mit individuellen Bedürfnissen und Grenzen. Wenn Personen es schaffen, ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen anderen gegenüber zu wahren, verspüren sie Integrität. Sie sind dann „ganz bei sich”. Es kommt aber häufig dazu, dass Menschen die Integrität anderer Menschen verletzen. Insbesondere Kinder sind übergriffigen Situationen häufig ausgesetzt, nämlich dann, wenn Erwachsene etwa Verbote oder Strafen aussprechen, um zu erziehen. Dies geschieht zum Beispiel auf Spielplätzen häufig durch „Wenn-dann”-Sätze, die eine durch die Eltern auferlegte Strafe zum Ausdruck bringen („Wenn du jetzt noch einmal … machst, dann gehen wir nach Hause / kommen wir nie wieder hierher!”) – und zwar in Momenten, in denen Kinder eigentlich einfach nur einem (Grund-)Bedürfnis nachgehen, wie z. B. Matschwasser trinken, Schuhe ausziehen und barfuß durch den Sand laufen oder sich auf der Rutsche vordrängeln. Hingegen verletzen „Wenn-dann”-Sätze, die eine automatisch eintretende Konsequenz zum Ausdruck bringen, nicht unbedingt die Integrität („Wenn du deine Regenjacke nicht anziehst, wirst du draußen nass.”).
In unserer pädagogischen Arbeit lehnen wir Verbote, Bloßstellungen und Strafen als Erziehungsmittel grundsätzlich ab (vgl. Schutzkonzept Punkt 4.1). Vielmehr betrachten wir es als unsere pädagogische Kernaufgabe, die Integrität des Kindes zu wahren, d. h. Kinder in ihren Bedürfnissen und Grenzen ernst zu nehmen, zu stärken und zu schützen (vgl. Schutzkonzept Punkt 2.2). Dazu bedarf es weniger der ER-ZIEHUNG als vielmehr einer guten, vertrauensvollen BE-ZIEHUNG. Doch was machen gute, vertrauensvolle Beziehungen zwischen Erzieher*innen und Kindern aus? Sie können sich im Kindergarten dann entwickeln, wenn sich die Erzieher*innen und Kinder auf Augenhöhe begegnen und somit authentisch und geprägt von Respekt, Achtsamkeit und Wertschätzung interagieren. So lernen sich die Erzieher*innen und Kinder immer wieder „neu” kennen. Dabei werden nach und nach die Bedürfnisse und Grenzen des Gegenübers genauer erkannt und verstanden, um entsprechend darauf reagieren zu können. Dabei übernehmen die Erzieher*innen eine leitende Rolle. Zum einen schaffen sie eine angenehme Umgebung im Spannungsfeld zwischen Freiheiten und Grenzen, in der sich die Kinder angenommen und wohl fühlen, sich frei ausprobieren und entfalten können.
Zum anderen agieren die Erzieher*innen als Vorbilder hinsichtlich ihres Handelns und ihrer inneren Haltung. In der ständigen Interaktion bekommen die Kinder die Möglichkeit, das Handeln und die innere Haltung der Erzieher*innen nachzuahmen. Sichtbar wird dies insbesondere im Freispiel (siehe dazu Punkt 4.3).
Der Raschelbande e. V. hat eine dialogische Grundhaltung sowohl den Kindern gegenüber als auch untereinander im pädagogischen Team und in der Zusammenarbeit mit den Eltern. D. h. wir legen besonderen Wert auf Partizipation und Mitbestimmung als grundlegende Voraussetzung für demokratisches Denken und Handeln. Es ist uns wichtig, die Raschelbande-Kinder an inhaltlichen, organisatorischen und zwischenmenschlichen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Auch Gruppenregeln und mögliche Konsequenzen werden im Austausch miteinander festgelegt. Entscheidungen betreffen zumeist nicht nur ein Kind, sondern haben in der Regel auch Auswirkungen auf andere. Wir möchten die Kinder dabei unterstützen, sich an gemeinschaftlichen Entscheidungen aktiv zu beteiligen. Bei der Entscheidungsfindung wirkt das demokratische Prinzip, denn Partizipation bedeutet immer auch Verhandlung. In den Verhandlungsprozess fließen die Erfahrungen und Interessen aller Kinder und Erwachsenen mit ein. So lernen die Kinder, dass ihre Stimme zwar zählt, sie aber auch zugunsten der Gemeinschaft einen anderen Weg gehen oder Kompromisse eingehen müssen. Um diese wertschätzende Form des Miteinanders zu leben, wird geübt, dem Gegenüber zuzuhören, zu warten und auszuhalten, dass nicht alle Wünsche immer sofort aufgegriffen und umgesetzt werden können. Die Kinder werden durch diese Form der Kommunikation ermutigt, selbstständig zu denken und Verantwortung für die eigene Meinung zu übernehmen und sie zu äußern (vgl. Schutzkonzept Punkte 2.3 und 5.1).
In unserem Raschelbande-Alltag gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, den Partizipationsgedanken zu leben. Täglich wird beispielsweise im Morgenkreis gemeinsam beschlossen, welcher Spielort im Wald aufgesucht wird. Außerdem werden regelmäßig Vorschläge für Themen gesammelt, welche den Gruppenalltag begleiten sollen – beispielsweise Insekten, Tierspuren oder Blätter bestimmen lernen.
Der Wald ist nicht nur „naturpure” Idylle, sondern es kann auch gefährlich sein, sich in ihm zu bewegen. Es gibt eine Reihe von Regeln, die die Sicherheit der Kinder beim Spielen und Entdecken gewährleisten (z. B. nichts in den Mund nehmen, kein totes Tier anfassen, in Ruf- und Hörweite bleiben). Darüber hinaus sind die Erzieher*innen immer in Sicht- und Hörweite, um die Kinder vor konkreten Gefahren bewahren zu können. Die Erzieher*innen besprechen und üben mit den Kindern spielerisch, wie sie sich verhalten könnten/sollten, wenn sie im Raschelbande-Alltag möglicherweise eine Verletzung ihrer Integrität empfänden oder in Gefahr wären (vgl. Schutzkonzept Punkt 4.3).
3.3 Naturpädagogischer Ansatz: Freies Spiel im Wald
Kinder kommen mit der Gabe des Spielens auf die Welt. Das Spiel ist in allen Kulturen die ursprünglichste Tätigkeitsform, durch die der Mensch seine Umwelt wahrnimmt und begreift, durch die er lernt. Eine besondere Bedeutung kommt dem freien Spiel (in der Natur) zu – dem Urspiel des Menschen. Im freien Spiel tun Kinder genau das, worauf sie gerade Lust haben, und es ist das, was für ihre individuelle Entwicklung gerade das Richtige ist. Selbstbestimmt wählen sie ihren Spielbereich, ihre Spielpartner*innen und ihr Spielmaterial. Im Spiel erproben sie ihr Denken und Handeln, verarbeiten Eindrücke, lösen Probleme, bauen Beziehungen zu anderen auf, lösen Konflikte, verinnerlichen funktionale Abläufe, erhöhen ihre Frustrationstoleranz, übernehmen Verantwortung etc. Dadurch erlernen und verknüpfen sie Strategien, durch die sie ihr persönliches Handeln und Denken in ihrer sozialen und dinglichen Umwelt weiterentwickeln und somit Selbstkompetenz, Sozialkompetenz und Sachkompetenz aufbauen.
Wir sind der Überzeugung, dass insbesondere freie Spielräume (im Wald) geeignet sind, Kindern ein Verständnis von der Wertschätzung der Natur und den Menschen gegenüber zu vermitteln. Deshalb wird das Freispiel (im Wald) in unserem Kindergarten einen sehr hohen Stellenwert einnehmen. Die Raschelbande-Kinder sind bei jedem Wetter mehrere Stunden an der frischen Luft im Wald. Dabei dürfen sie dreckig werden!
Es ist uns wichtig, dass die Kinder die Natur in all ihrem Facettenreichtum mit allen Sinnen begreifen. Für jede Spielaktivität bietet der Wald genug Raum und Inspiration. Die Kinder bedienen sich frei an allem, was die Natur zu bieten hat: Stöcke, Federn, Moos, Laub, Matsch, Steine, Erde usw. Daraus entstehen komplexe Spiellandschaften, Steine werden zu Figuren, Baumstämme zu Autos, eine Matschsuppe wird gekocht und aus Stöcken wird ein Haus gebaut. Zusätzlich stellen die Erzieher*innen den Kindern mitgebrachte Werkzeuge und andere Materialien wie Bänder, Seile, Schaufeln, Eimer etc. zur Verfügung. Der Kreativität sind beim Spiel (so gut wie) keine Grenzen gesetzt.
Beim Freispiel im Wald greifen die Erzieher*innen nicht aktiv ins kindliche Spiel ein, sondern sie beobachten es. Gleichzeitig sind sie stets sensibel für individuelle Bedürfnisse der Kinder. Wenn Kinder im Spiel beispielsweise Fragen zur Lebenswelt des Waldes entwickeln, dann begleiten sie die Kinder dabei, Antworten auf ihre Fragen zu finden – stets in einer erforschenden Art und Weise: Es werden Blätter den verschiedenen Bäumen/Baumarten zugeordnet, es werden Käfer im Lupenglas betrachtet, es wird in einem Sachbuch nachgeschaut, wie die Käfer heißen, wie die Blüte einer bestimmten Pflanze aussieht usw. So wird nebenbei Wissen zum Naturraum „Wald” und zur „großen, ganzen Welt” aufgebaut (vgl. Schutzkonzept Punkt 2.4). Auch dann, wenn die Kinder beispielsweise in Konflikte geraten, unterstützen die Erzieher*innen sie dabei, sie auszuhandeln/zu lösen (vgl. Schutzkonzept Punkt 4.4).
3.4 Alltagsintegrierte Sprachbildung
Das freie Spiel im Wald (vgl. Punkt 4.3) hält vielfältige Situationen bereit, in denen natürlicherweise senso-motorische und soziale Fähigkeiten gefordert und gefördert werden können (z. B. im kindlichen Rollenspiel, beim Klettern auf Bäume). Doch gilt dies nicht in eben demselben Maße für sprachliche Fähigkeiten. Weil aber Sprache eines der wichtigsten Werkzeuge für Kinder ist, um am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren, um leise oder laut zu denken, Gedanken und Ansichten zu äußern, sie zu reflektieren, Konflikte zu lösen, um zu lernen und sich zu bilden etc., legen wir ein besonderes Augenmerk darauf, sprachliche Bildung in unseren pädagogischen Alltag zu integrieren.
Alltagsintegrierte Sprachbildung bedeutet (für uns) zuallererst, dass sich die Erzieher*innen grundsätzlich als Sprachvorbild verstehen. Angepasst an den Sprachentwicklungsstand des Kindes, setzen sie Mimik, Gestik und Rhythmus bewusst ein und begleiten sprachlich ihr eigenes Handeln in Alltags‑, Pflege- und Spielsituationen. Mit anderen Worten: Wenn ein*e Erzieher*in z. B. den Tisch deckt, dann begleitet sie ihr Handeln mit den Äußerungen: „So, jetzt stelle ich den Teller auf den Tisch und ich lege rechts neben ihn das Messer und links neben ihn die Gabel.” Ebenso begleitet sie*er das sprachliche Handeln des Kindes. Außerdem sind die Erzieher*innen aufmerksam für das, was die Kinder äußern und geben den Kindern genügend Raum und Zeit, sich zu äußern. Zudem begegnen die Erzieher*innen Mehrsprachigkeit grundsätzlich wertfrei (z. B. ist das Türkische ebenso wertvoll wie das Englische) und ermuntern die Kinder dazu, ihre Familiensprachen im Kindergartenalltag zu gebrauchen bzw. spielerisch einzubringen.
Damit einhergehend erkennen die Erzieher*innen sprachanregende Situationen im pädagogischen Alltag und nutzen sie gezielt. Dies gelingt ihnen, indem sie individuell Kinder in solche Situationen bewusst einbinden. Dabei lassen sie sich von den Interessen der Kinder leiten und orientieren sich am Sprachentwicklungsstand des Kindes.
Um die Frage zu beantworten, welche Sprachfertigkeiten ein Kind schon besitzt und welche Entwicklungsschritte noch ausstehen, wird ein wissenschaftlich fundiertes, strukturiertes Beobachtungsverfahren eingesetzt. Aus den Ergebnissen leiten die Erzieher*innen die Förderstrategie für das einzelne Kind ab. Kinder mit besonderem Förderbedarf werden häufiger und gezielt in sprachanregende Situationen eingebunden. Die sprachlichen Fertigkeiten, die, jeweils an den individuellen Entwicklungsstand des Kindes angepasst, gefördert werden, liegen z. B. im Bereich des Argumentierens (z. B. für einen bestimmten Spielort oder ein bestimmtes Thema), des Berichtens (z. B. von/über Erfahrungen aus den kindlichen Rollenspielen im Freispiel), des Beschreibens (z. B. wenn sich im Spiel ein Stock von einem „Kochlöffel” in eine „Puppe” „verwandelt”) oder des Sich-Beschwerens (z. B. über eine Beleidigung durch ein anderes Kind (vgl. Schutzkonzept Punkte 5.4 und 5.5).
Grundsätzlich erkennen die Erzieher*innen, in welchen Momenten ein Kind Ruhe/Intimität braucht und nicht durch aktive Sprachangebote überfordert werden sollte. Nicht zuletzt beziehen die Erzieher*innen die Eltern und weitere Bezugspersonen in die Sprachbildung der Kinder mit ein.
3.5 Ergänzende Angebote zum freien Spiel
Für Kinder ist das Freispiel in ähnlicher Weise anstrengend, wie es für Erwachsene anstrengend ist einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Es ist zu erwarten, dass die Raschelbande-Kinder nach einem Vormittag im Wald müde sind. Wir kennen es vermutlich von uns selbst: Wer müde ist, gibt gerne auch mal Verantwortung ab und empfindet es als angenehm, angeleitet zu werden. Deshalb und auch, um die Fertigkeiten, die sich die Kinder beim Freispiel im Wald aneignen, zu erweitern, bieten die Erzieher*innen ergänzend zum Freispiel nachmittags verschiedene Aktivitäten oder angeleitete Spiele an. Beispielsweise laden sie die Kinder dazu ein, an handwerklichen Tätigkeiten teilzunehmen: Aus Ästen entsteht ein Webrahmen, Hagebutten werden zu Ketten aufgefädelt, Farbe wird zum Malen aus Zwiebelschalen gewonnen usw. Außerdem werden auch musikalische/kulturelle Angebote gemacht, z. B. ein Puppenspiel, Basteln und Bespielen von Musikinstrumenten. Grundsätzlich achten wir darauf, dass es kein Überangebot gibt, um eine Reizüberflutung der Kinder zu vermeiden. Oftmals gilt für uns: Weniger ist mehr!
4. Was macht den Alltag und das Jahr der Raschelbande-Kinder aus?
Gerade wegen des hohen Freiheitsideals, den wir mit unserem pädagogischen Ansatz vertreten, ist unser Raschelbande-Alltag und der Jahresverlauf auch von Strukturen, Rhythmen und Grenzen geprägt. Denn nur in einer begrenzten, sicheren Umgebung mit gewohnten Abläufen und kleinen Ritualen wird es, wie bereits erwähnt, möglich, Kindern freie Entscheidungen entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse und ihres Entdeckungsdrangs selbst zu überlassen. Nur in einer solchen Umgebung fühlen sich Kinder sicher und können somit ihre Potenziale frei entfalten (vgl. Schutzkonzept Punkt 2.2).
Der Tagesablauf der Raschelbande gestaltet sich folgendermaßen: Um 8:00 Uhr öffnen die Erzieher*innen den Betrieb und empfangen die ankommenden Kinder in der Bringzeit von 8:00 bis 9:00 Uhr. Um 9:00 Uhr wird im Morgenkreis mit dem Tag begonnen. Erst einmal wird geschaut, wer da ist und es wird an die Kinder gedacht, die nicht da sind. Dann erzählen die Kinder und auch Erzieher*innen das, was sie erzählen möchten, vielleicht von Erlebnissen oder von dem, was ihnen auf dem Herzen liegt. Jedes Raschelbande-Kind bekommt die Zeit, die es braucht, um den familiären Alltag hinter sich zu lassen und im Raschelbande-Alltag anzukommen. Passend zur Jahreszeit werden z. B. bekannte oder neue Lieder gesungen und Fingerspiele gemacht. Wenn jedes Kind im Tag angekommen ist, wird gemeinsam entschieden, zu welchem Spielort im Wald die Gruppe an dem Tag gehen möchte (vgl. Schutzkonzept Punkte 2.2, 2.3 und 5.3). Nur in Ausnahmefällen, wenn z. B. die Witterungsverhältnisse es nicht zulassen, in den Wald zu gehen, bleibt die Gruppe am Vormittag in der Nähe des Bauwagens.
Mit dem sorgfältig gepackten Bollerwagen geht es dann los zum Spielort des Tages. Das Freispiel beginnt bereits auf dem Weg dorthin: Es wird geklettert, es wird in Pfützen gesprungen, es wird auf Ästen als Hexenbesen geritten. Die Kinder entscheiden selbst, was und wie sie spielen. Sicherheit wird den Kindern, wie oben schon erwähnt, durch einige klare Regeln gegeben. Die Kinder wissen, dass keiner den Sicht- bzw. Hörkontakt zur Gruppe verlieren darf, das respektvolles Umgehen miteinander erwartet wird und der Lebensraum von Pflanzen und Tieren zu schützen ist (vgl. Schutzkonzept Punkte 3.1 und 3.3).
Auch am Spielort des Tages wird den Kindern erst einmal Zeit zum Ankommen gegeben. Wenn sie so weit sind, werden die Kinder mit einem Ritual (z. B. einem kurzen Spruch) zum Händewaschen aufgefordert. Danach beginnt das gemeinsame Frühstück. Jedes Kind bekommt aus dem Bollerwagen seinen Rucksack, in dem sich das Frühstück befindet, das die Eltern zu Hause vorbereitet haben. Die Kinder setzen sich auf kleine Sitzkissen, die im Kreis ausgelegt sind. Dann packt jedes Kind seine Brotdose und Trinkflasche aus. Von den Erzieher*innen werden dazu täglich Rohkost und Obst frisch aufgeschnitten angeboten. Beim Verteilen helfen die Kinder. Nun wird mit dem Frühstücken begonnen und geplaudert.
Sobald die Kinder mit dem Frühstücken fertig sind, können sie in ihrem individuellen Tempo mit dem Freispiel beginnen. Dazu nutzen sie vorhandene Naturmaterialien, können aber auch zu mitgebrachten Utensilien wie beispielsweise Töpfen oder Seilen greifen. Ggf. hängt eine*r der Erzieher*innen auch eine Hängematte auf. Neben dem Freispiel bietet eine*r der Erzieher*innen wechselnde Mitmachangebote an. Beispielsweise können die Raschelbande-Kinder mit Wasserfarben malen, das Schnitzen mit echten Messern lernen oder andere Werkzeuge erproben.
8:00 — 9:00 | Bringzeit |
9:00 — 9:30 | Morgenkreis |
9:30 — 10:00 | Wanderung zum Spielort im Wald (manchmal bleibt die Gruppe auch beim Bauwagen) anschließendes Frühstück |
10:00 — 12:00 | Freispiel und offene Angebote |
12:00 — 12:30 | Wanderung zurück zum Bauwagen (an Waldtagen) |
12:30 — 13:00 | Mittagessen |
13:00 — 13:30 | Ruhezeit (Geschichte, ausruhen) |
13:30 — 13:45 | erste Abholzeit |
13:30 — 14:40 | Bastel‑, Werkangebot oder Freispiel |
14:40 — 14:45 | Abschlusslied |
14:45 — 15:00 | letzte Abholzeit |
Gegen 12:00 Uhr stimmen die Erzieher*innen ein Lied an, mit dem die Spielzeit im Wald beendet und die Aufräumphase eingeleitet wird. Sobald der Bollerwagen wieder vollständig gepackt ist, findet sich die Raschelbande am Spielort zu einem Abschlusskreis zusammen, in dem über Erlebnisse des Vormittags gesprochen wird. Noch einmal stärken sich die Kinder mit einem Schluck aus der Trinkflasche und dann kehrt die Raschelbande zurück zum Bauwagen. Auch auf dem Rückweg haben die Kinder die Möglichkeit, ihr Freispiel weiter fortzusetzen.
Zurück am Bauwagen waschen sich die Kinder zuerst ihre Hände und setzen sich dann am nahe gelegenen Haupt-Spielort im Kreis zusammen. Dort wird gemeinsam das von zu Hause mitgebrachte Mittagessen verspeist (warmgehalten in Thermoboxen). Zu Beginn gibt es wieder ein kleines Ritual.
Mit vollen Bäuchen folgt die Ruhezeit. Dazu kuscheln sich die Kinder z. B. auf kleine Felle. Eine fortlaufende Geschichte wird vorgelesen, manche Kinder schlafen dabei ein.
Abholen können die Eltern ihre Kinder nach der Ruhezeit, in der Zeit von 13:30 und 13:45 Uhr oder am Nachmittag zwischen 14:45 und 15:00 Uhr. Die Nachmittagsbetreuung kann optional und individuell je nach Bedarf in Anspruch genommen werden.
Für diejenigen Kinder, die auch am Nachmittag betreut werden, werden nach der Ruhezeit offene Spielangebote im Freien in der Umgebung des Bauwagens gemacht, z. B. Ballspiele, Stelzenlaufen, Schwungtuchspiele oder auch Bastel-/Werkangebote.
In kleiner Abschlussrunde wird gemeinsam auf den Tag zurückgeblickt und ein Abschlusslied gesungen. Jetzt sind die Kinder bereit, abgeholt zu werden.
Die Jahreszeiten werden im Wald besonders intensiv erlebt und sind auch aktiv Thema im Raschelbande-Kindergarten. Passend zu den vier Jahreszeiten finden Jahresfeste statt: Herbstfeste (z. B. Laternenbasteln/-umzug), Winterfeste (z. B. Nikolaus, Karneval), Frühlingsfeste (z. B. Ostern, Tag der offenen Tür) und das Sommerfest (z. B. „Garten”-Tag, Abschied der Schulkinder). Die Jahresfeste sind also bewusst an die Jahreszeiten geknüpft, weniger an christliche Feste. In Absprache mit den Familien, feiern wir im Wechsel unterschiedliche Feste aus verschiedenen Religions- und Kulturkreisen. Darüber hinaus werden die Geburtstage der Kinder und Erzieher*innen gefeiert.
5. Welcher Denk- und Handlungsrahmen leitet unser pädagogisches Handeln
5.1 Inklusion
Inklusion ist uns eine Herzensangelegenheit! Sie umfasst das Recht eines jeden einzelnen Menschen, eines jeden einzelnen Kindes, anders zu sein. Wir möchten die Kinder darin fördern, Verschiedenheit als normal und wertvoll zu empfinden.
Ausschlaggebend für die Gestaltung unseres Waldkindergartens werden die individuellen Bedürfnisse der Kinder sein. Unser Ziel ist es, jedem einzelnen Kind eine gleichberechtigte Teilhabe an allen Bereichen des Waldkindergartens zu ermöglichen. Waldkindergärten sind vor allem für Kinder mit motorischen Einschränkungen, Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen vorteilhaft. Denn der Wald bietet Ruhe, Weite und vielfältige Körper- und Sinneserfahrungen. In Zusammenarbeit mit Kinderärzt*innen, Frühförderstellen und Therapeut*innen entwickeln wir, insbesondere auf Kinder mit frühkindlichem Förderbedarf zugeschnitten, einen Förder- und Teilhabeplan. Grundsätzlich sollen die unterschiedlichen Fördermaßnahmen in den Kindergartenalltag eingebettet in der (Klein-)Gruppe durchgeführt werden. Nach Möglichkeit wird im Freien, ansonsten im Bauwagen gefördert. So entsteht ein gemeinsamer Lebens‑, Lern- und Spielalltag, in dem alle Kinder voneinander lernen. Grundsätzlich planen wir damit, dass therapeutische Maßnahmen in der Einrichtung stattfinden können.
Eine inklusive Ausrichtung des pädagogischen Alltags berücksichtigt nicht nur Menschen mit (drohender) Behinderung, sondern auch solche, die aufgrund von Geschlecht, Alter, Wohnort, Armut, ethnischer Zugehörigkeit, Indigenität, Sprache, Religion, Migrations- oder Vertriebenenstatus, rassistischen Zuschreibungen, sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität, Überzeugungen und Einstellungen ausgeschlossen und somit benachteiligt und diskriminiert werden. Menschen werden wegen (un-)sichtbarer Merkmale, der Zugehörigkeit zu bestimmten Familien oder einfach wegen ihres Kindseins diskriminiert. Einige Kinder sind häufiger von Benachteiligung und Diskriminierung betroffen als andere. Tatsächlich aber ist es das Recht eines jeden Kindes, in einem diskriminierungsfreien Umfeld aufzuwachsen. Kleinkinder spüren, wie vorhandene Unterschiede kommuniziert werden. Bleiben sie unkommentiert, verfestigen sie sich zu Vorurteilen. Grundsätzlich stellt es einen enormen Eingriff in die Integrität eines Kindes dar, wenn es aufgrund eines unveränderlichen Merkmals aus einer Gruppe ausgeschlossen wird. Durch Stereotypisierung (Kinder aus/mit x machen immer y) werden Menschen als „anders“ markiert.
Im Raschelbande-Kindergarten verfolgen wir als grundlegende Voraussetzung für eine lebendige Demokratie ein diskriminierungssensibles und diversitätsbewusstes Miteinander, indem Unterschiede gesehen und als Bereicherung begriffen werden. Kategorien der Über- und Unterordnung aufgrund von Merkmalen und Zugehörigkeiten lehnen wir ausdrücklich und konsequent ab. Alle Kinder mit ihren unterschiedlichen Identitäten sollen bei uns die gleichen Teilhabechancen haben. Wir möchten alle Kinder ins WIR einbeziehen. Wir sind davon überzeugt, dass dies gelingen kann, wenn Unterschiede mit Blick auf Gemeinsamkeiten bewusst thematisiert werden. Mit anderen Worten: Indem wir von einer Gemeinsamkeit ausgehen, welche uns alle verbindet (nach Lieblingsspeise, nicht nach landesüblicher Speise fragen/ A ist schwarz und wohnt wie du in Köln), sorgen wir dafür, dass jeder etwas beitragen kann. So kann eine Verbindung zwischen dem Kind, seiner Familie und der Einrichtung entstehen.
5.2 Bewusstsein für Diversität und Sensibilität für Diskriminierung
Wie bereits erwähnt ist es für uns wichtig, eine wertschätzende Atmosphäre für alle zu schaffen. Die Erzieher*innen handeln vorurteilsfrei und genderbewusst: Beschimpfungen und Vorurteile unter Kindern werden thematisiert und besprochen (vgl. Schutzkonzept, Punkt 5.2). Dabei vermitteln die Erzieher*innen, dass abwertende Äußerungen verletzend sein können
und bieten Hilfe an, respektvolle Worte zu finden. Vor allem sollen Kategorien wie „normal“, „wünschenswert“, „Bilderbuchfamilie“ vermieden werden. Außerdem legt das pädagogische Team großen Wert darauf, die Kinder dafür zu sensibilisieren, geschlechtliche Rollenbilder kritisch zu hinterfragen: Alle Kinder können gleichermaßen stark, zärtlich, traurig, wild sein (um nur einige Eigenschaften zu nennen), alle Arten von Kleidungsstücken in jeder Farbe und Musterung tragen, sich schmutzig machen, kuscheln oder toben. Kategorisierungen in „typisch Mädchen – typisch Junge” sollen vermieden, geschlechterunabhängige Kompetenzen sollen entwickelt werden. Deshalb bemühen sich die Erzieher*innen darum, pädagogische Angebote geschlechtsunabhängig zu planen und umzusetzen. So wird das Kind darin bestärkt, seine ganz eigene Persönlichkeit zu entwickeln.
Eine schmerzhafte Form der Diskriminierung ist, das Gefühl vermittelt zu bekommen, „nicht vorzukommen“. Deshalb ist es unser Ziel, alle Kinder und ihre Familien in einer respektvollen Weise „sichtbar zu machen”: im Miteinander, bei Spiel- und Bastelmaterialien (z. B. Hautfarbenstifte) sowie in Büchern. Sollten in den Materialien Inhalte vorkommen, welche rassistische oder auf sonstige Art diskriminierende Stereotype reproduzieren, werden die entsprechenden Stellen mit den Kindern auf für sie verständliche Weise und spielerisch besprochen. Dadurch möchten wir den Kindern ein Gefühl vermitteln, „gesehen zu werden” und sie somit spüren lassen, dass ihre Einzigartigkeit, ihr Wert erkannt wird (vgl. Schutzkonzept Punkt 2.4).
Wir sind uns bewusst, dass mehrsprachige Personen häufig diskriminiert werden. Besonders problematisch ist, dass zwischen verschiedenen Sprachen differenziert wird, ihnen eine unterschiedliche Wertigkeit zugeschrieben wird. So können Kinder für ihre Mehrsprachigkeit sowohl Wert- als auch Geringschätzung erfahren, je nachdem, welche Sprachen sie zusätzlich zum Deutschen sprechen (z. B. wird in unserer Gesellschaft das Englische oft noch als „höherwertiger” als z. B. das Türkische angesehen). Weil Kleinkinder deutlich spüren, ob ihre Sprache abgewertet oder geschätzt wird, werden mehrsprachige Raschelbande-Kinder nicht zum Gebrauch des Deutschen gedrängt, sondern die Erzieher*innen ermuntern die Kinder dazu, die Sprache zu gebrauchen, in der sich das Kind in dem Moment am wohlsten fühlt.
Der wertschätzende Umgang miteinander erstreckt sich auch auf die gemeinsamen Mahlzeiten. Kein Kind soll wegen dem, was es isst, in eine Schublade gesteckt werden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Ernährungsweise auf religiösen oder sonstigen weltanschaulichen Gründen be- ruht. Besondere Bedürfnisse einzelner Kinder sollen berücksichtigt werden. Außerdem sollen alle Kinder, unabhängig von dem wirtschaftlichen Hintergrund ihrer Familie, gleichberechtigt am Kindergartenalltag teilhaben können. Ein vertrauensvoller Umgang miteinander sorgt dafür, dass das Thema Armut nicht tabuisiert und keine Familie stigmatisiert wird. Zusätzliche Angebote innerhalb unserer Betreuungszeiten sind grundsätzlich für alle Kinder kostenfrei (z. B. Exkursionen ins Theater, in den Zoo). Eine Teilnahme ist nicht von der Zahlung eines Elternbeitrags abhängig.
Des Weiteren ist sich der Raschelbande e. V. seinem sexualpädagogischen Bildungsauftrag bewusst. Kindliche Fragen und Situationen, die im Kindergarten aufkommen, werden sexualpädagogisch mit dem Ziel beantwortet, eine gesunde kindliche Sexualität zu erhalten und eine altersgerechte sexuelle Bildung zu vermitteln (vgl. Schutzkonzept Punkt 6). Dies bedarf nicht zuletzt eines sensiblen und enttabuisierenden Dialogs zwischen den Familien und dem pädagogischen Personal.
Um Diskriminierung im Kindergartenalltag vorzubeugen bzw. deren Auftreten entgegenzuwirken, sehen wir verschiedene Möglichkeiten und Wege vor: Damit die Erzieher*innen die verschiedenen Verletzbarkeiten von Kindern berücksichtigen können, geben wir ihnen einen Leitfaden an die Hand, welcher einen wertschätzenden Umgang mit Diversität sowie eine besondere Sensibilität für Diskriminierung und somit ein demokratisches Miteinander beschreibt. Darüber hinaus setzen sich die Mitarbeiter*innen intensiv und reflektiert mit den eigenen Norm- und Wertvorstellungen auseinander. Fortbildungen, Seminare, Supervisionen oder Trainings tragen zum Aufbau und zur Erhaltung eines stets offenen Blickes bei (vgl. Schutzkonzept Punkt 9).
Grundsätzlich sind wir offen für ein vielfältig zusammengesetztes Team (z. B. mehrsprachig, verschiedene religiöse Zugehörigkeiten und sexuelle Orientierungen) in welchem diversitätsreflektierte Perspektivem vorhanden sind, wodurch Diskriminierungen eher erkannt und beseitigt werden können.
5.3 Nachhaltigkeit
Da uns die Zukunft unserer Erde und damit die unserer Kinder und Kindeskinder am Herzen liegt, versuchen wir den Kindergartenalltag möglichst ressourcenschonend und nachhaltig zu gestalten. Nachhaltigkeit ist bei der Raschelbande somit eine Selbstverständlichkeit, die bei allen Entscheidungsprozessen eine wichtige Rolle einnimmt. Ein Waldkindergarten ist in vielerlei Hinsicht nachhaltig, da der enge Bezug zur Natur bereits im Grundgedanken verankert ist. Die Kinder bewegen sich hauptsächlich im Freien, der Wald ist ihr Erlebnis- und Lernort, die unmittelbare Auseinandersetzung mit Flora, Fauna und der Witterung findet jeden Tag statt. Dadurch lernen die Kinder einen respektvollen Umgang mit der Natur, beobachten den Wandel der Jahreszeiten und werden für viele Umweltthemen sensibilisiert.
Müll vermeidet die Raschelbande weitgehend. Frei nach dem Motto „Weniger ist mehr” setzen wir passend dazu auf eine minimalistische Ausstattung, aus hochwertigen, langlebigen Materialien, die langfristig weniger Müll hinterlassen oder wir setzen auf gebrauchte, gut erhaltene Produkte.
Das bedeutet beispielsweise, dass wir auf Mülltüten verzichten und stattdessen verschließbare Eimer verwenden. Zudem erhält jedes Kind einen eigenen „Wetbag” für den Transport nasser/verschmutzter Wäsche. Eine weitere effektive Möglichkeit Müll zu reduzieren, ist es, Wegwerfprodukte wie Taschentücher, Küchenpapier usw. durch langlebige, waschbare Produkte wie Baumwolllappen zu ersetzen. Der Müll, der trotzdem anfällt, wird selbstverständlich getrennt. Wir prüfen, ob ein Komposthaufen für organischen Müll angelegt werden kann.
Der Bauwagen mit Komposttoilette sowie alle Ausstattungsgegenstände (Anstriche, Möbel etc.) werden aus nachhaltigen Baustoffen hergestellt, die rezykliert wurden und/oder recycelt/kompostiert werden können. Sie sind schadstoffarm und sollen möglichst aus lokaler/regionaler Produktion stammen.
Auch beim Thema Ernährung möchten wir Bewusstsein schaffen und einen Beitrag zum Umweltschutz leisten und setzen daher gezielt auf frisches Obst und Gemüse aus der Region (Gemüsekiste) und Knabbereien aus dem Unverpackt-Laden. Zusätzliches Trinkwasser, um die mitgebrachten Trinkflaschen aufzufüllen, bieten wir aus Glasflaschen an. Unser eigenes Bio-Gemüsebeet gibt den Kindern zudem die Möglichkeit, ganz praktisch Nachhaltigkeit zu erleben.
Das Thema Umweltschutz begegnet den Kindern also ganz selbstverständlich jeden Tag im Kindergarten. Es wird darauf geachtet, dass die Erzieher*innen umweltbewusstes Handeln vorleben. Fragen werden aufgegriffen und Themen erklärt. Neben diesem täglichen, bewussten Umgang gibt es kleinere Projekte, z. B. Recycling-Bastelangebote oder das Bauen eines Insektenhotels, die den Kindern spielerisch Wertschätzung gegenüber der Natur und den Ressourcen der Erde vermitteln.
6. Wie werden die Übergänge der Eingewöhnung und der Schulvorbereitung gestaltet?
Wir streben eine partnerschaftliche und familienergänzende Arbeit mit den Familien der Kinder an. Daher möchten wir sie bei den wichtigen Übergängen, welche einen Umbruch für die ganze Familie bedeuten, sensibel und individuell begleiten.
Eine behutsame, individuelle und elternbegleitete Eingewöhnungszeit ist ausschlaggebend für den Aufbau einer vertrauensvollen und stabilen Bindung zu den Erzieher*innen als neue Bezugspersonen. Der sanfte Übergang des Kindes aus dem familiären Umfeld in die Kindertageseinrichtung ist von großer Bedeutung. Daher sollen die Kinder zunächst von einem Elternteil oder einer anderen primären Bindungsperson in den Waldkindergarten begleitet werden. Die Eltern dürfen sich in Absprache mit dem Team in den Kindergartenalltag einbringen und Aufgaben, wie beispielsweise die Rohkost zum Essen vorbereiten, übernehmen. So sieht das Kind, dass auch die Eltern einen Platz in dem ihm noch fremden Umfeld haben. Dies erleichtert dem Kind, die Erzieher*innen als familienergänzende und ‑unterstützende Bezugsperson anzunehmen. Das Kind gewöhnt sich aktiv ein.
Die Eltern begleiten ihre Kinder in deren Tempo in die neue Umgebung. Uns ist es sehr wichtig, dass sich das Kind von Anfang an wohl fühlt. Erst wenn die Erzieher*innen vom Kind als weitere Vertrauenspersonen akzeptiert werden und das Kind sich in der neuen Umgebung eingefunden hat, findet ein erster Trennungsversuch statt. Die Trennungssituation wird vorab ausführlich von Erzieher*in, Kind und Elternteil durchgesprochen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt findet der Abschied in der Bringphase statt. Eine Verlangsamung des Eingewöhnungsprozesses sehen wir keinesfalls als Rückschritt an. Wichtig ist vielmehr, dass das Kind sich zu jeder Zeit sicher fühlt und mit dem aufkommenden Stress umgehen kann. Die Dauer des Aufenthalts im Waldkindergarten wird individuell gesteigert und orientiert sich am Wohlbefinden des Kindes. Die gesamte Eingewöhnungs- zeit über stehen Erzieher*in, Elternteil und Kind in regem Austausch und arbeiten in enger Kooperation zusammen.
Um den Kindern den Übergang vom Waldkindergarten in die Grundschule zu erleichtern und unserem gemeinsamen Förder- und Bildungsauftrag nachzukommen, arbeiten wir in engem Austausch mit Grundschulen zusammen (vgl. Schutzkonzept, Punkt 10). Durch einen gemeinsamen Besuch der aufnehmenden Grundschule gewinnen die Raschelbande-Kinder behutsam und im geschützten Rahmen der eigenen Kindergartengruppe einen ersten Eindruck vom System Schule als solchem sowie vom konkreten Umfeld der jeweiligen Schule.
Eine solide Vorbereitung auf die Schulzeit bietet das freie Spielen im Wald: Spielerisch werden gleichermaßen (Senso-)Motorik, Ausdauer, Konzentration und Aufmerksamkeitsspanne gefördert (vgl. Punkt 4.3). Im Waldalltag lernen die Kinder ihre Bedürfnisse zu achten und erleben dadurch Selbstwirksamkeit (vgl. Punkt 4.1). Im täglichen Miteinander lernen die Kinder Regeln einzuhalten und Verantwortung für sich und andere sowie für das Ökosystem Wald zu übernehmen (vgl. Punkt 4.2 sowie Schutzkonzept, Punkte 3.1 und 3.3). So können soziale Beziehungen aufgebaut und gestärkt werden. Des Weiteren entdecken die Kinder in der sich ständig verändernden Umgebung im Wald ganz automatisch ihre Lust am Lernen. Neue Herausforderungen regen stets die angeborene Neugierde der Waldkinder an (vgl. Punkt 4.1). Durch das gemeinschaftliche Lösen der vielen Rätsel, die der Wald bereithält, üben die Kinder sich in Teamfähigkeit und entwickeln in besonderem Maße ihre Sprachfähigkeiten weiter (vgl. Punkt 4.4). Auch werden durch die Bastel- und Werkangebote die feinmotorischen Fertigkeiten der Kinder intensiv geübt. Darüber hinaus bieten die Erzieher*innen ein spezielles Angebot zur Vorbereitung auf die Schule an. Darunter fallen z. B. kleinere naturwissenschaftliche Experimente/Projekte oder das Arbeiten mit Material zur Förderung geometrischen Denkens. Außerdem machen die Kinder im Spiel „Schule” auch erste Erfahrungen mit der Welt der Schriftsprache und Zahlen.
7. Welche Aufgaben übernehmen die Raschelbande-Eltern?
Für eine Elterninitiative ist das Engagement der Eltern entscheidend. Wichtig ist für uns eine freundliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern, damit das Miteinander und die Erziehungspartnerschaft gut gelingen kann. Die Erzieher*innen nehmen eine familienergänzende und ‑unterstützende Rolle ein und erkennen die Familie als erste und wichtigste Bindungs‑, Bildungs- und Erziehungsinstanz an. Mögliche Beschwerden seitens der Eltern begreift der Raschelbande e. V. als Anlass zur Selbstreflexion.
Mindestens einmal jährlich beruft der Träger die Elternversammlung, bestehend aus den Eltern der Raschelbande-Kinder, ein und informiert über personelle Veränderungen sowie pädagogische und konzeptionelle Angelegenheiten sowie die angebotenen Öffnungs- und Betreuungszeiten.
Der Rat der Kindertageseinrichtung, bestehend aus Vertreter*innen des Trägers und des Personals, berät beispielsweise über die Grundsätze der Erziehungs- und Bildungsarbeit und vereinbart Kriterien für die Aufnahme von Kindern in die Einrichtung.
Zusätzlich zu den „Tür- und Angelgesprächen“ in der Bring- und Abholzeit, finden mindestens einmal im Jahr Elterngespräche statt, um sich z.B. über die individuelle Entwicklung der Kinder auszutauschen. Zudem finden regelmäßig Elternabende statt.
Damit ein reibungsloser Alltag gelingen kann, ist es wichtig, dass Eltern im Wechsel kleinere Aufgaben und Dienste übernehmen. Es wird also erwartet, dass Eltern bereit sind, sich für den Kindergarten zu engagieren. So wird es beispielsweise einen Wäschedienst (einmal die Woche wäscht eine Familie im Wechsel die Kindergartenwäsche) und einen Wasserdienst geben.
Zudem bedarf es einer besonders engen Zusammenarbeit mit Eltern von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf. In Zusammenarbeit mit Therapeut*innen setzen wir uns dafür ein, dass Eltern von Kindern, denen eine Behinderung droht, gut beraten werden.
8. Was bedeutet Qualitätssicherung für den Raschelbande e.V.?
Der Raschelbande e. V. bemüht sich kontinuierlich darum, eine hohe Qualität in der pädagogischen Arbeit mit den Kindern, in der pädagogischen Arbeit des Teams und in der Elternarbeit zu gewährleisten und diese zu verbessern. In unserem Qualitätsentwicklungsprozess folgen wir den Empfehlungen des LVR-Landesjugendamtes zur Qualitätsentwicklung für Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen.
Uns liegt Transparenz besonders am Herzen. Die Eltern erhalten neben kurzen Gesprächen in der Bring- und Abholzeit regelmäßig Bericht über das Gruppengeschehen, neue Projekte, aber auch über Schwierigkeiten innerhalb der Einrichtung. Dazu werden Aushänge am Bauwagen gemacht und einzelne Themen auf den Elternabenden aufgegriffen.
Das pädagogische Team trifft sich wöchentlich zu Teamgesprächen, um eine wertvolle pädagogische Arbeit zum Wohle der Kinder zu gewährleisten (vgl. Schutzkonzept Punkt 4.2). Zudem bilden sich die Erzieher*innen stetig weiter und nehmen regelmäßig an Fortbildungen teil (vgl. Schutzkonzept Punkt 9).
Besprechungen aktueller Anliegen, Formulierungen neuer Ziele und gezielte Qualitätsmanagementgespräche finden in regelmäßigen Vorstandssitzungen statt.
Unser Konzept wird stetig evaluiert und weiterentwickelt. Am speziell dafür vorgesehenen Konzeptionstag, der jährlich stattfindet, werden einzelne Punkte überarbeitet und angepasst oder neu hinzugefügt.
Wir streben außerdem die Zusammenarbeit und den Austausch mit anderen Wald- und Naturkindergärten in der Umgebung und Mitgliedschaften im Paritätischen Wohlfahrtsverband und im Landesverband der Waldkindergärten Nordrhein-Westfalen an (vgl. Schutzkonzept Punkt 10).
Ein interdisziplinärer Austausch wird bei Bedarf und aufkommenden Fragen ebenfalls in Anspruch genommen.
9. Literatur
Bücher
Hüther, Gerald; Renz-Polster, Herbert (2013): Wie Kinder heute wachsen – Natur als Entwicklungsraum. Weinheim: beltz Verlag.
Juul, Jesper (2018): Dein kompetentes Kind: Auf dem Weg zu einer neuen Wertgrundlage für die ganze Familie. 15. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag.
Madubuko, Nkechi (2020): Empowerment als Erziehungsaufgabe. 3. Auflage. Münster: UNRAST-Verlag.
Rosenberg, Marshall B. (2016): Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. 12. Auflage. Paderborn: Junfermann Verlag GmbH.
Wild, Rebeca (2015): Sein zum Erziehen. Mit Kindern leben lernen. 5. Auflage. Weinheim: beltz Verlag.
Artikel
Koné, Gabriele (2019): Armutssensibles Handeln in der Kita. In: Fachzeitschrift Welt des Kindes 1/2019, S. 16–19.
Wagner, Petra (2020): Für alle heißt für alle – ohne Diskriminierung! Inklusion in der Kitapraxis mit dem Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung. Online verfügbar (zuletzt geprüft am 10.06.2021).
Wagner, Petra (2020): Was Demokratie mit Vielfalt und Schutz vor Diskriminierung zu tun hat. In: Wamiki. Das pädagogische Fachmagazin, 2/2020, S. 28–35.
Sonstiges
LVR-Landesjugendamt Rheinland/LWL-Landesjugendamt Westfalen (2020): AN ALLE DENKEN – Empfehlung zur Erstellung einer Inklusionspädagogischen Konzeption. Köln/Münster. Online verfügbar (zuletzt geprüft am 06.06.2021).